„Wusstest Du, dass wir viel mehr Bakterien als eigene menschliche Zellen im Körper haben?“, ist ein Satz, der mir schon häufiger mal gesagt wurde und so einigen von Euch sicher auch. Fakt ist aber, dass wir eher genauso viele Bakterien wie Zellen im Körper haben. Zusätzlich schwankt das Bakterien-Zellen-Verhältnis von Mensch zu Mensch ganz individuell. Doch selbst die angesehene Fachzeitschrift Nature gab zu, diesen Mythos in einigen ihrer Artikel schon stehen gehabt zu haben. Um der weiteren Verbreitung falscher Informationen entgegenzusteuern, veröffentlichten sie im Juni dieses Jahres „Humanes Mikrobiom – Mythen und Missverständnisse“ (im Original: “Humane microbiome myths and misconceptions“). Ein Teil dieses Wissens wollen wir auch an unsere Leser weitergeben, da gerade bei chronischen und schweren Erkrankungen das Mikrobiom häufig zur Sprache kommt.
Das Mikrobiom – was ist das überhaupt? Das Mikrobiom meint alle Mikroorganismen, also Bakterien, Viren, Pilze o.ä., die einen Makroorganismus wie den Menschen besiedeln. Da wir von all den Mikroorganismen in uns am meisten über die Bakterien wissen, setzt man diese gerne gleich mit dem Mikrobiom, auch wenn das streng genommen nicht korrekt ist. Der größte Teil davon befindet sich bei uns auf den Schleimhäuten, z.B. im Darm und auf der Haut. Meist bringen wir das Vorkommen von Bakterien eher mit etwas Bedrohlichem in Verbindung, doch tatsächlich hat das Mikrobiom eine Vielzahl positiver Wirkungen auf unseren Körper. Es schützt uns davor, dass gefährlichere Bakterien uns zu sehr besiedeln können, es nimmt an unserem Stoffwechsel teil, z.B. werden durch sie bestimmte Vitamine wie Biotin, Folsäure, Riboflavin sowie Vitamin B12 und Vitamin K produziert, und hilft uns mit vielen weiteren Aufgaben. Deswegen ist es kein Wunder, dass das Mikrobiom in aller Munde ist und immer mehr Gegenstand der Forschung wird. Ein Irrglaube ist es trotzdem, dass die Mikrobiomforschung ein neues Feld ist. Bekannte Bakterien wie Escherichia coli (E.coli) und Bifidobakterien wurden bereits Ende des 19. Jahrhunderts beschrieben. Kurze Zeit später gab der Bakteriologe Ilja I. Metschnikow bereits von sich, dass es im Darm Bakterien gibt, die dem Menschen nützlich sind. Auch die Darm-Hirn-Achse, welche ein immer beliebter werdendes Thema ist, wurde bereits vor über 40 Jahren erstmalig erwähnt.
Nicht nur die Anzahl der Bakterien in unserem Körper wird oft diskutiert, sondern auch das Gewicht, das sie mit sich bringen. Es kursiert die Behauptung, dass das Mikrobiom ein bis zwei Kilogramm wiegt. Dies ist aber eine deutliche Übertreibung – das eigentliche Gewicht wird auf unter 500 Gramm geschätzt.
Ein weiterer Mythos ist, dass man das Mikrobiom seiner Mutter bei der Geburt vererbt bekommt. Ein paar Mikroorganismen schaffen es zwar, bei der Geburt auf das Neugeborene überzutreten – ein größerer Teil entwickelt sich aber erst, während das Kind gestillt wird, und ein noch viel größerer erst kurz nach dem Start mit der Beikost. So sollte man eher sagen, dass die ersten drei Lebensjahre die entscheidenden für die Zusammensetzung des Mikrobioms sin und weshalb dieses von Mensch zu Mensch deutliche Unterschiede aufweist.
Weiterhin sollte man eher davon ablassen, Bakterien als „gut“ oder „schlecht“ einzuordnen. Wie Mikroorganismen unseren Körper beeinflussen, hängt von ihrer Umgebung und dem Zustand des Körpers, in dem sie sich befinden, ab. Ein Beispiel dafür ist das bereits oben erwähnte E.coli, das im Darm eher keine Probleme bereitet, jedoch in den Harnwegen häufig für Infekte verantwortlich ist. Als weiteres Beispiel fungiert das Clostridium difficile, welches erst bei Immunsuppression oder nach Antibiotikaeinnahme seine schädigende Wirkung entfalten kann. Ansonsten tragen viele Menschen dieses Bakterium mit sich herum, ohne es überhaupt zu bemerken.
Nicht nur einzelne Bakterienstämme werden als krankheitsverursachend angesehen, sondern auch Veränderungen in der Bakterienzusammensetzung des Körpers (sog. Dysbiose). Solch eine wird mit unzähligen Erkrankungen in Verbindung gebracht, u.a. chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Da das Mikrobiom jedoch bei keinem Menschen genau gleich ist, ist es schwer herauszufinden und zu verallgemeinern, welche Darmbakterienkonfigurationen für welche Krankheiten anfällig machen. Zudem ist zu beachten, dass entzündliche Krankheiten oft selbst für eine Veränderung des Mikrobioms verantwortlich sind – also ein bisschen das „Henne oder Ei“-Problem, ob nun die Mikrobiomveränderung oder die Entzündung zuerst da war.
Nichtsdestotrotz ist die Forschung an unserem Mikrobiom ein wichtiges Feld, das noch viele bedeutsame Erkenntnisse in sich birgt. Deswegen lohnt es trotzdem weiter zuzuhören, wenn jemand über eine neue Studie oder einen neuen Artikel dazu berichtet oder es im Rahmen der Krankheitsbehandlung thematisiert wird. Der Unterschied ist nur, dass Ihr jetzt dafür bereit seid, auf weitverbreitete Falschinformationen hinzuweisen und dazu beizutragen, dass die Mikrobiomforschung ein seriöses Feld bleibt